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Scham: Darum ist sie gut & Tipps für den Notfall



Mit Traumatherapeutin Hille Beseler-Roth habe ich mich über Scham unterhalten: Wie entsteht sie, warum ist sie unangehm und wie kann sie uns nützlich sein. Wir tauschen uns auch über unsere eigenen Momente der Scham aus und wie uns unsere individuellen Schamgeschichten geprägt haben. Du kanst dir das Interview als Video ansehen, es als Audio anhören oder es in gekürzter Version unten lesen.

Darüber sprechen wir:

  • was Scham ist und woher sie kommt 

  • warum Scham etwas Gutes ist

  • was der Unterschied zwischen natürlicher und toxischer Scham ist 

  • wie uns unsere individuelle Schamgeschichte prägt

  • warum wir uns lieber von uns selbst, als von anderen trennen 

  • wofür ich - Lene - mich in meinem Leben schäme  

  • was der Schlüssel ist, um Scham zu überwinden 

  • was das Geschenk von Scham ist 

  • warum es sich lohnt, sich Scham zu erlauben 

  • Notfallübungen für Scham-Momente





Transkript vom Interview | gekürzt & lektoriert - für ein leichteres Lesevergnügen



Lene: Herzlich willkommen, liebe Hille. Ich freue mich sehr, dass du da bist. Wir sprechen heute über Scham. Mit Scham komme ich bei meinen Fotoshootings sehr häufig in Berührung. Frauen erzählen mir immer wieder, dass sie so gern mal schöne Bilder von sich hätten, sich jedoch nicht trauen, weil sie sich nicht für schön genug halten oder als zu alt empfinden. Auch haben sie Angst, sich während des Shootings zu verkrampfen. 


Oder sie entscheiden sich aktiv für die Fotos, aber fühlen sich dennoch unsicher. Haben Angst davor, was auf den Bildern zu sehen sein wird. Angst davor, dass sie sich selbst auf den Aufnahmen nicht schön finden. 


Im Privaten habe ich auch schon Situationen erlebt, in denen ich Scham empfunden habe oder etwas unangenehm fand. Doch bevor wir da jetzt voll einsteigen, würde ich sagen:


Lene: Hille, stell‘ dich doch einfach noch mal kurz vor. Wer bist du und was machst du?

Hille: Ich brenne für das Thema Scham. Und ich glaube, wir passen da gut zusammen, weil du als Fotografin, wie du auch schon beschrieben hast, insbesondere durch deine Selbstliebe-Fotoshootings, viel auf Scham triffst.


Ich bin eine in Wien lebende Berlinerin und Mutter eines gerade pubertierenden Sohnes. Beruflich mache ich in meiner Wiener Praxis körperorientierte Trauma-Arbeit, Somatic Experiencing und biete Körpertherapie nach der Grinberg Methode an. Ich arbeite mit einzelnen Personen, sowohl Erwachsenen als auch Kindern, und mit Paaren.


Zu meinem Angebot gehören Workshops, Seminare und Trainings, bei denen ich auch meinen ersten Beruf Schauspielerin mit einfließen lassen kann. Als Schauspielerin kenne ich mich ein wenig mit Shootings aus, daher werden wir uns da heute ganz gut treffen. 


Lene: Ja, als Schauspielerin warst du sicher auch schon in vielen Situationen, in denen du was machen musstest, was vielleicht unangenehm war oder wofür du dich in verschiedene Rollen versetzen musstest. Darüber sprechen wir später auf jeden Fall noch. Was mich interessieren würde ist:


Lene: Was ist Scham eigentlich? Und wo kommt Scham her?

Hille: Scham ist ein soziales Gefühl oder man sagt auch ein reflexives Gefühl. Als Baby kennen wir das Gefühl noch nicht. Erst mit ca. zwei Jahren entwickelt sich im Gehirn die Fähigkeit, zu begreifen: „Ah, ich bin ich und du bist du.“ Und in dieser Phase tritt zum ersten Mal so was wie Scham auf. Scham ist was Gutes.


Wir sind soziale Wesen und wir sind darauf angewiesen, dass wir im Miteinander leben. Scham hat die Funktion, Affekte und Impulse zu kontrollieren. Das hört sich jetzt erst mal blöd an, ist aber wichtig. Das nennt man natürliche Scham. 


Doch es gibt auch eine Art toxische Scham oder ungesunde Scham, bei der wir uns zu doll hemmen. Bei der wir zu starke Bewertungen, Reflexionen, also Abwertungen, Verurteilungen in uns haben. Etwa: Mein Körper ist nicht schön oder mein Bauch ist zu dick. Scham ist eine Unterbrechung des Lustempfindens. Wie beim Kind, das Lust hat aus Neugierde das Glas umzuwerfen.


Leider leben wir in einer eher körperfeindlichen Gesellschaft. Wäre es herrlich, wenn man Fotos macht und einfach Lust und Spaß daran hat, seinen Körper zu zeigen oder sich zu zeigen. Doch die Scham lässt uns eine Hemmung entwickeln, die auch noch übermäßig stark ist. In der Folge versuchen wir uns zu verstecken oder versuchen, uns zu verstellen.


Wir alle brauchen Schamgefühle. Jeder Mensch, der empathisch ist oder Verbindungen zu Menschen fühlen kann, hat Schamgefühle. Und Schamlosigkeit hat oft mit einem ganz, ganz tief liegenden Schamgefühl zu tun. Ich glaube, wir reden heute mehr über diese toxische Scham, über diese ungesunde Scham.


Lene: Stimmt, Scham ist oft übertrieben und fühlt sich schlimmer an, als sie müsste oder als es nötig wäre. Du hast vorhin schon erwähnt, dass diese Art der Scham damit zu tun hat, dass wir uns selbst bewerten, auch abwerten und uns ständig fragen: „Wie wirke ich und wie sehe ich aus?“ Das ist genau das, was mir immer wieder begegnet.


Lene: Kannst du dazu mehr erzählen? Wie kommt das, dass wir überhaupt so bewertend auf uns schauen?

Hille: Vielleicht ist noch spannend zu sagen, dass Männer gleichermaßen Schamgefühle haben wie Frauen. Total klischeehaft betrachtet ist die Scham bei Männern ein bisschen anders gelagert als bei Frauen. Bei uns Frauen ist es ganz oft so, dass die Scham irgendwas mit dem Körper und dem Aussehen zu tun hat. 


Ich glaube, dass die ungesunde Scham oder die toxische Scham eigentlich eine internalisierte Form ist oder eine individualisierte Form von gesellschaftlichen Konflikten, von einem ungelösten Thema. Unsere Gesellschaft ist körperfeindlich. Das heißt, der Körper soll funktionieren und uns von A nach B bringen. Der Körper ist ein Objekt. Wir „müssen“ unseren Körper einsetzen, um sexuell attraktiv zu sein.


Und das ist bei Frauen ein bisschen stärker ausgeprägt, finde ich. Wahrscheinlich verstärkt durch Werbung, durch Filme, durch die Medien. Zusätzlich zum gesellschaftlichen Aspekt gibt es die individuelle Schamgeschichte, also was wir erlebt haben mit unserem Körper. Dazu gehören so Sätze in der Familie wie: „Jetzt iss nicht so viel, sonst wirst du zu dick.“


Dann sind da die Bilder im Außen, die uns vermitteln, wie unsere Körper auszusehen haben und was Schönheit ist. Die eigenen Schamgefühle sind sehr individuell und deshalb ist es manchmal schwierig, wenn jemand anderes sagt: „Ey, du musst dich doch für deinen Bauch nicht schämen.“


Aber ich versuche den immer wieder zu verstecken, weil ich da irgendwie meine Geschichte mit habe oder meinen hohen Anspruch an mich. Diese verurteilende Stimme oder diesen harten Blick auf uns selbst, den kenne ich auch von mir. 


Ich schaue in den Spiegel, urteile und mein Kopf denkt: „Boah, überall Cellulitis. Jetzt wirst du auch schon alt …“ Diese Scham hat sich herausgebildet, um uns zu schützen, damit wir uns wappnen vor der Ablehnung oder vor der Trennung von außen. Also lieber mache ich mich selbst fertig und runter. 


Ich muss perfekt sein, damit ich vom Außen nicht abgelehnt werde. Denn wenn diese Trennung nicht sensibel passiert oder wenn sie zu verletzend war, entsteht etwas zutiefst Schmerzhaftes. Wir sind auf Menschen angewiesen, das ist unsere Achillesferse. Wir wollen geliebt werden, wir wollen angenommen werden.


Lene: Und dann trennen wir uns lieber von uns selbst als von den anderen?

Hille: Genau. Das ist aber natürlich alles unbewusst. Wir werden als Kind beschämt. „Jetzt, iss nicht schon wieder so viel. Du bist aber auch schon ein bisschen dick.“ Weil wir auf unsere Eltern angewiesen sind, internalisiert sich unbewusst ein Anteil in uns, der uns runter macht.


Der sagt: „Ja, stimmt, du bist dick, du darfst nicht so viel essen.“ Nur weil wir Teil der Familie bleiben wollen. Als 5-jähriges Kind bin nicht so weit zu sagen: „Papa, so redet man nicht mit mir. Ich habe Liebe verdient. Schau mich liebevoll an.“ Das kann ein Kind nicht. Das internalisiert dann so einen abwertenden Anteil. 


Lene: Die Scham ist also einerseits ein Schutz und gleichzeitig etwas, durch das wir uns von uns selbst abspalten, um im Außen die Verbindung aufrechtzuerhalten. Damit manövrieren wir uns selbst in etwas rein, was anstrengend und gar nicht angenehm ist.


Lene: Das hat dann zur Folge, dass wir uns für uns selbst schämen. Versteh ich das so richtig, ist das so?

Hille: Das Gefühl, wenn man sich wirklich schämt, entsteht im Gehirn an genau demselben Ort wie ganz schlimmer Schmerz oder existenzielle Angst. Es ist ein bedrohliches Gefühl. Es ist dieser dorsale Vagus. Es ist biologisch gesehen eine Lebensgefahr für den Körper. Deshalb erstarrt man oft, kann nicht mehr reden und nicht mehr klar denken. Manchmal macht man peinliche Übersprungshandlungen, weil im Gehirn in dem Moment viel passiert.


Lene: Das kann vermutlich jede*r nachvollziehen oder hat das schon mal so erlebt. Ich selbst kenne das auch von mir. Bei dem, was du beschreibst, fühle ich mich sofort zurückversetzt in meine Schulzeit, wenn ich einen Vortrag halten musste. Ich stand vor meinen Mitschüler*innen und dem Lehrer oder der Lehrerin und fand es ganz unangenehm. Mein Kopf war einfach leer. 


Ich wusste nichts mehr von dem, was ich sagen wollte. Ich fühlte mich sehr vorgeführt und fand das natürlich sehr unangenehm. Und was auch noch hinzukam und kommt ist, dass ich stottere. Das ist auch ein Thema, das immer wieder mit Scham verbunden ist. Es wird besser im Verlauf des Lebens. Man entwickelt sich weiter, man wird älter, man sieht Dinge anders, man kann vieles besser einordnen.


Aber dennoch ist das etwas, was immer mit im Rucksack dabei ist und mal mehr oder weniger Thema ist. Ich kenne das gut, dass Menschen sehr unterschiedlich reagieren auf mein Stottern oder auch sehr unterschiedlich damit umgehen. Von Lachen, Erstarren, zu „Hast du deinen Namen vergessen“, wenn der Name nicht sofort rauskommt, wenn man sich vorstellt. Das kann sowohl für mich als auch für mein Gegenüber unangenehme Gefühle hervorrufen.


Warum ist Scham so unangenehm?

Hille: Weil es uns immer an dieses Gefühl, nicht angenommen zu sein oder nicht geliebt zu sein, erinnert. Es schafft immer diese Distanz nach außen. Wut, Freude oder auch Schmerz sind klare Gefühle. Bei Wut, da will die Wut raus. Bei Freude lachen wir. Aber Scham ist diffus. Du beschreibst es so super mit dem Stottern.


Da passiert fast was Doppeltes: Du schämst dich und ich glaub, da ist auch Scham beim Gegenüber. „Hey, was soll ich jetzt machen? Was ist mit ihr?“ Also Fremdschämen. Das kriegst du dann auch noch mit. Das kommt dann zu deiner Scham noch on top, weil es für dich eh schon schambehaftet ist, dass du stotterst.


Das ist einfach wahnsinnig unangenehm und außerhalb der Norm. Es sind meistens die Dinge, die nicht in der Norm sind, die dann sowas hervorrufen. 


Lene: Das können auch noch ganz viele andere Dinge sein, die nicht der Norm entsprechen. Ob es das Stottern ist oder das Aussehen, welche Form man hat, wie groß man ist oder wie die Haut aussieht oder welche Frisur man hat.


Hille: Alles, was ein bisschen von der Norm abweicht, kann Auslöser von Schamreaktionen sein.


Hille: Wie gehst du damit um, wenn du merkst dein Gegenüber weiß mit deinem Stottern nichts anzufangen?

Lene: Ich habe über die Jahre meine Strategien entwickelt, damit umzugehen. Ich rede zum Beispiel einfach weiter, versuche mich selbst nicht davon beirren zu lassen. Das ist schwierig, denn in meinem Kopf läuft natürlich parallel ein Gedankenkarussell ab: „Scheiße, jetzt stottere ich. Ah, jetzt merkt der oder die andere das, guckt komisch“ etc.


Da läuft parallel ganz viel anderes noch in meinem Kopf ab, neben dem, was ich ja eigentlich sagen möchte und mich damit abmühe, es zu sagen. Ich versuche bei mir zu bleiben und den Fokus auf das zu lenken, was ich sagen möchte, was mir wichtig ist und immer offener damit umzugehen. Mein Gegenüber rechnet nicht damit, wenn er oder sie es nicht weiß. Dann ist es im ersten Moment verwirrend.


Ich glaube, ich versuche einfach, möglichst offen damit umzugehen, was von der anderen Seite kommt und es dann auch sehr direkt anzusprechen. Ich beobachte meine*n Gesprächspartner*in. In der Regel gibt es so einen kurzen Schockmoment und dann können sie es einordnen oder sind völlig verwirrt und wissen nicht weiter. Das versuche ich dann aufzugreifen und spreche das teilweise auch direkt an, um einfach die Verwirrung aufzulösen.


Hille: Hilft das auch dir oder eher den anderen?

Lene: Ich helfe mir selbst damit. Ich mache das, um mich selbst nicht zu schämen, um mir selbst die Last zu nehmen und um diese Verwirrung des anderen von mir fernzuhalten. So löse ich das auf, damit es mir wieder besser geht. Der anderen Person geht's aber auch besser, denn sie weiß dann, was los ist und das macht es einfacher. Also es hilft uns beiden, aber ich mach das schon hauptsächlich für mich. 


Hille: Wahnsinn. Du hast das jetzt so super beschrieben. Das ist der Schlüssel: in Verbindung gehen. Scham ist das Gefühl von Abtrennung. In der Schamreaktion bist du isoliert und denkst, ich bin die Einzige auf der ganzen Welt, die so ist.


Ich bin unmöglich oder ich bin zu viel oder ich bin voll daneben. Und indem du anfängst, darüber zu sprechen, holst du die anderen ab. Du holst sie aus ihrem Schock und ihr schafft wieder eine Verbindung. 


Lene: Der Stress legt sich auch sofort. Das ist was, was mir dann auch wieder hilft, weil es natürlich unangenehm ist, zu merken, dass der oder die andere das auch unangenehm findet. Ja, es bringt wieder in Verbindung und löst sofort den Stress.


Es bringt einfach gleich eine andere Ebene rein. Wie ein Wechsel von Smalltalk und Oberflächlichkeiten hin zu etwas tieferem. Man spricht sofort über andere Dinge, also manchmal, nicht immer.


Hille: Man kann Schamgefühle nicht wegkriegen. Wir können nur ändern, wie wir damit umgehen. Das ist das Geschenk bei der Scham. Wenn du Scham erlaubst, gehst du wieder in die Verbindung, zeigst dich. So entsteht Nähe.


Lene: Was du beschrieben hast, passiert auch bei meinen Fotoshootings. Die Frauen kommen zu mir und die wenigsten kommen ohne Schamgefühl. Für die meisten ist es auch eine Überwindung, sich überhaupt dafür zu entscheiden. Das ist schon ein Riesenschritt. 


Bei meinen Fotoshootings darf alles so sein, wie es ist. Man muss für die Bilder nichts an sich verändern, muss nicht anders sein, damit ein schönes Bild entsteht. Es darf alles so sein, wie es ist. Die Frau darf alles mitbringen, was dazugehört, was zu ihr gehört, was sie ausmacht. Und ob es jetzt innerlich oder äußerlich ist, ist egal. Es gehört alles dazu. 


Mit allem da sein zu dürfen, was zu einem dazugehört, ob man es mag oder nicht, und dem Raum zu geben, darum geht's. Und dieses Raum geben ist am Ende der Schlüssel für die schönen Bilder. Ich spreche vorher, während und nach dem Shooting mit den Frauen und da darf alles besprochen, angesprochen und ausgesprochen werden, worüber man sich Sorgen macht oder wovor man vielleicht auch Angst hat.


Eine Angst der Frauen ist auch oft, dass sie da stehen und nicht wissen, was sie tun sollen. Ich gebe während meiner Fotoshootings keine Anweisungen. Die Frauen müssen nicht posen und sich irgendwie an der Wand räkeln oder was auch immer tun. Das ist ungewohnt. Das bringt erst Unsicherheit und dann Scham mit sich.

 

Ich habe gemerkt, wenn wir in diesen Momenten die ganzen Gedanken mal laut aussprechen und sie erlauben, dann lösen sie sich auch auf. Das beobachte ich während meiner Fotoshootings immer wieder. Es einfach auszusprechen, dem Raum zu geben und es dann gehen zu lassen, das passiert von allein, ohne dass man da aktiv etwas tun muss. 


Hille: Also über Scham oder über das, wofür man sich schämt zu sprechen, davor hat fast jede*r Angst. Wenn man nicht darüber spricht, dann nimmt es voll viel Raum ein. Dann wird man immer verkrampfter oder versteckt sich immer mehr.


Fängt man jedoch an, darüber zu sprechen, dann zieht es den Stecker raus. Das darüber sprechen erfordert Mut und geht nur, wenn man sich sicher fühlt. Und das schaffst du anscheinend. Du schaffst eine sichere Atmosphäre. Das ist voll schön.


Lene: Man sieht das auch in den Bildern, wenn es nicht raus darf oder wenn man sich selbst unterdrückt. Je mehr das mit Scham verbunden ist und je weniger man sich die Scham eben auch erlaubt und es eben nicht ausspricht, desto enger macht das. Das kann man sehen. 


Genauso gut kann man sehen, wie es sich wandelt, wenn man sich erlaubt, genauso da zu sein, wie man eben gerade da ist, mit allem, was sich vielleicht unperfekt anfühlt. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich diese Bedenken und die Sorgen und die Ängste dann auch legen können. Sie gehen vielleicht nicht ganz weg, aber es wird leichter. 


Hille: Das muss für dich auch schön sein, das dann mit anzuschauen, mit dabei zu sein.


Lene: Die Entwicklung während des Shootings ist immer anders, je nach Frau und je nachdem, was sie mitbringt und wie sie sich fühlt und wie sehr sie sich einlässt. Das ist jedes Mal ein bisschen anders. Ein schönes Beispiel, von dem ich gern kurz erzählen würde. 


Ich hatte neulich ein Fotoshooting mit einer Frau. Und in dem Raum, in dem das stattfindet, gibt es einen großen Spiegel. Normalerweise ist der mit Vorhängen zugehängt, man sieht den Spiegel gar nicht. Aber es kann spannend sein, sich während des Fotoshootings im Spiegel anzuschauen.


Und in diesem Shooting wollte die Frau sich im Spiegel sehen. Als sie sich dann sah, hat das ganz viel mit ihrer Ausstrahlung gemacht. Sie fand schön, was sie gesehen hat. Das ist leider nicht immer der Fall. Aber in ihrem Fall war das so, dass sie sich schön fand, dass sie anfing, mit sich selbst zu flirten und das war schön anzusehen.


Ich habe allerdings gemerkt, dass sie nicht mehr bei sich war, sondern im Außen. Sie war am posen, dabei etwas darzustellen und das darf auch dazugehören. Ich habe den Vorhang dann wieder zugemacht, das Shooting ging weiter und gegen Ende dachte ich: „So, jetzt mach ich den Vorhang noch mal auf.“ 


Und sie hat sich wieder im Spiegel angeschaut, dieses Mal aber ganz anders. Sie hat nichts für den Spiegel gemacht, sondern sie war immer noch bei sich.


Hille: Toll.


Lene: Das war eine enorme Entwicklung. Es gibt einen himmelweiten Unterschied zwischen diesen ersten Spiegelbildern und den späteren Spiegelbildern. So was zu beobachten, finde ich sehr faszinierend. Die Frauen durchleben Phasen in den Fotoshootings. Und irgendwann, wenn sie sich darauf eingelassen hat, kommt sie an diesen einen Punkt und dann ist auch keine Scham mehr da. 


Am Anfang ist noch Scham da, die verflüchtigt sich aber während des Shootings. Das ist enorm schön anzusehen. Was würdest du denn so aus fachlicher Sicht sagen:


Lene: Warum lohnt es sich, Scham zu erlauben? Und was kann passieren, wenn ich mir meine Scham eingestehe und sie zulasse? 

Hille: Also auf jeden Fall wirst du Verletzlichkeit begegnen. Vor allem macht es aber was mit dem Selbstvertrauen, setzt Energie frei und man fühlt sich mutig und vielleicht auch Stolz. Und wenn man sich traut, ist es immer ein Schritt in Richtung persönlichem Wachstum und ein Schritt in Richtung Heilung.


Lene: Das ist auch genau das, was ich hinterher in den Augen der Frauen sehe. Sie sind stolz, dass sie sich getraut haben, dass sie es gemacht haben. Sie sind stolz darauf, was sie alles ausprobiert haben, was sie sich erlaubt haben, dass sie den Schritt gewagt haben und sind auch stolz hinterher auf ihre Bilder.


Und dass sie das sind auf dem Bild und nicht irgendwer anders. Und dass sie auch in dem Bild sehen, was sie auch gefühlt haben während des Fotoshootings. 

Ich hingegen bin stolz, wenn sie sich dann ein oder zwei Bilder aussuchen, um sie zu Hause an die Wand zu hängen. Ich finde, das ist dann das i-Tüpfelchen.


Viele können sich das vorher nicht vorstellen, sich zu Hause Bilder hinzuhängen, vielleicht sogar noch ins Wohnzimmer, wo es jede*r sehen kann. Das ist etwas, was mich dann sehr stolz macht, am Ende diese Entwicklung miterlebt zu haben. Ich fühle mich auch geehrt, mit ihnen diesen Weg gehen zu dürfen. Du hast vorhin schon erwähnt, dass du Schauspielerin bist.


Lene: Wie kam es dazu, dass du angefangen hast, dich mit dem Thema Scham zu beschäftigen? Und welche Strategien hast du für dich entwickelt, um mit dem Thema Scham und den Schamgefühlen umzugehen?

Hille: Ich war ein sehr schüchternes Kind und sehr blockiert oder gehemmt. Ich hatte und habe immer große Selbstzweifel. Und Selbstzweifel haben viel mit Scham zu tun. Es ist immer dieser reflektierte, verurteilende Anteil.


Und dann habe ich selbst Körperarbeit gemacht, als Patient, als Klientin und habe festgestellt, dass ich in jedem Moment, bevor ich auf die Bühne gehe, immer so eine Schamschwelle überwinden musste, weil ich zutiefst schüchtern bin. Und so bin ich dazu gekommen, mich mehr mit Scham zu beschäftigen.


Ich hatte schon als kleines Kind einen riesengroßen Leberfleck und bin zum Beispiel am Strand ständig angeglotzt worden. Ständig waren alle irritiert. Auch die Kinder beim Tanzen. In der Umkleide haben die anderen Kinder Dinge gesagt wie: „Darfst du hier mitmachen? Ist das ansteckend?“ 


Ich kenne es also, dass das Außen irritiert auf einen reagiert und ich mich irgendwie erklären muss und ihn gleichzeitig verstecken will, diesen riesengroßen Leberfleck. Auch etwas, was nicht in die Norm passt. Da hatte ich viel mit Schamgefühlen zu kämpfen.


Ich glaube über das Tanzen und die Bewegung habe ich einen unbewussten Weg gefunden, damit umzugehen. Als Schauspielerin drückt man immer etwas aus, stellt etwas dar und das konnte ich für mich nutzen. Manchmal ist dieses „fake it until you make it“, bis du wirklich zu dir selbst findest, total gut. Aber so machst du es ja auch.


Lene: Ich überlasse den Frauen, was sie machen. Und manche verfallen da in so einen „Ich arbeite jetzt hier mal was ab, was mir einfällt“-Modus. Manche machen das, manche machen das nicht. Bei den Selbstliebe-Fotoshootings übernimmt die Musik, das Tanzen und das Bewegen diesen helfenden Part.


So kommen die Frauen mehr ins Fühlen, ins Spüren und Denken so automatisch weniger nach. Es wird leichter durch die Musik, die während des Fotoshootings läuft. Die Musik hilft einfach dabei, in so einen „Bei sich sein“-Modus zu kommen, sie hilft dabei, sich zu entspannen.


Ein schönes Foto entsteht, wenn man sich erlaubt, sich zu entspannen, sich hinzugeben und in ein Gefühl zu kommen. Das strahlt man dann auch aus und das wiederum sieht man dann in den Bildern. 


Lene: Kennst du vielleicht ein oder zwei kleine Notfallübungen für den „Scham“-Moment? Kennst du da vielleicht ein paar Hilfsmittel, wie man wieder gut zu sich zurückfindet, sich selbst über diesen Schammoment hinweghelfen kann?

Hille: Als erstes fällt mir Bewegung ein. Du kannst dich zum Beispiel auf die Atembewegung konzentrieren. Erst mal ausatmen, ein paar Atemzüge. Manche brauchen auch so etwas wie Schütteln oder laute Ausrufe wie „Boah“. Bei einem Fotoshooting würde ich mein Gesicht kurz massieren. Schütteln und bewegen.

 

In der Schamreaktion ist Erstarrung im Körper, die Wirbelsäule wird starr und alles geht nach innen. Deshalb ist Musik super, oder auch tanzen, schütteln oder stampfen. Alles, was dich ins Hier und Jetzt zurückbringt. So dass das Gehirn kurz was anderes zu tun hat. Deshalb interessiert mich Scham auch so sehr, weil es den ganzen Körper betrifft. 


Der ganze Körper reagiert und da kann ich nicht einfach sagen: „Ja, ich bin schön. Ja, es ist egal, wie mein Bauch aussieht, aber trotzdem bleibe ich hier.“ Das bringt nichts. Für mich ist auch das Aussprechen ein A und O. Mir hilft das am allermeisten. Wenn das nichts für einen ist, kann man Bewegung probieren.

 

Selbstberührung kann auch gut sein, um aus dem Schamgefühl herauszukommen. Zum Beispiel mit geschlossenen Augen den Körper zu berühren, angefangen mit den Stellen, bei denen es nicht so triggert. Und dann langsam zu Stellen, wo es vielleicht triggernd ist, sich selbst zu spüren und zu berühren. Auch das reguliert das Nervensystem und führt uns in einen Zustand der Entspannung. 


Lene: Da machen wir jetzt noch den Bogen zu deiner Arbeit als Therapeutin. Die Dinge, die du jetzt genannt hast, die Hilfsmittel, die Notfallübungen. Sind das Dinge, mit denen du auch arbeitest?


Lene: Wie kann man sich eine Therapiesitzung bei dir vorstellen?  Was macht man da?

Hille: Es ist so ähnlich wie du das bei deinem Fotoshooting machst. Du schaffst einen sicheren Rahmen und die Person, mit der du arbeitest, die darf sich ausprobieren. Am Ende blüht sie auf oder entspannt sich, öffnet sich und zeigt sich wirklich.


Ich bin auch Begleiterin, ich schaffe einen sicheren Rahmen und biete an, dass das Gegenüber über Dinge sprechen darf. Ich zeige der Person, wie sich zum Beispiel so eine Schamreaktion im Körper zeigt. So lernt sie, wie sie diese im Alltag bemerken kann und was sie tun kann. Immer geht es über den Körper. 


Ich bin vorwiegend als Traumatherapeutin tätig. Arbeite also vor allem im Bereich Traumata, die jedoch auch viel mit Scham zu tun haben. Wenn wir unser eigenes Verhalten selbst als ein bisschen komisch oder nicht verständlich empfinden, dann ist da immer ein Anteil Scham dabei. Mit mir ist etwas komisch. Warum bin ich so, wie ich bin? 


Lene: Wenn man gerne mit dir arbeiten möchte:


Lene: Wo und wie findet man dich?

Hille: Über meine Webseite. Auf der ist auch meine die E-Mail-Adresse zu finden oder es gibt die Möglichkeit, meinen Newsletter zu abonnieren. Ich mache immer wieder auch Workshops, zum Beispiel zu Scham und Sexualität.


Ich möchte mit meinen Angeboten mehr Aufklärung über diese tabuisierte Emotion in die Welt bringen. Wir alle sind menschlich, sind verletzlich, sind alle nicht perfekt und genau das ist wunderbar so wie es ist.


Lene: Was für ein perfektes Schlusswort. Ich danke dir sehr, liebe Hille, dass ich mit dir sprechen durfte und ich so viel mehr über Scham erfahren habe. Vielen Dank!




Hille Beseler-Roth ist Trauma- sowie Körpertherapeutin und leidenschaftliche Scham-Forscherin in Wien. Durch ihre Ausbildung und Arbeit als Schauspielerin hat sie mehr als 30 Jahre Erfahrung darin, Emotionen zu verstehen und auszudrücken. Als Therapeutin (v.a. Somatic Experiencing/ Grinberg Methode) hilft sie Menschen dabei, Emotionen über den Körper zu verarbeiten und zu lösen. Zu Hilles Webseite.


 


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Ich helfe dir, deine Scham zu überwinden und dich wohl zu fühlen. Mach jetzt den ersten Schritt und lass uns kennenlernen. Das ist kostenlos und du verpflichtest dich zu nichts. Versprochen!




 

Lene ist ausgebildete Fotografin und hilft Frauen, zu erkennen, wie schön sie sind. Mit ihrer einfühlsamen Art, Gesprächen, Meditation, Musik und Tanz schafft sie während ihrer Fotoshootings eine Wohlfühlatmosphäre. Die Berlinerin liebt ihre Wahlheimat Bern, die Aare, Schokolade, flache Pfirsiche und Salsa tanzen.



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